Agota Lavoyer, selbsternannte «Expertin für sexualisierte Gewalt», ist eine talentierte Selbstvermarkterin. Das schadet mehr, als es nützt.
Von Lukas Joos
William J. A. Bailey (1884-1949) war weder ein Fachmann für radioaktive Strahlung noch ein Mediziner. Er besass nicht einmal einen Hochschulabschluss. Was ihn auszeichnete, war ein Sinn für Marketing und profitable Geschäftsmodelle. Ab 1918 produzierte er «Radithor», das er als Universalheilmittel anpries und über ein geschicktes Provisionssystem vertrieb. «Radithor» war destilliertes Wasser, das Bailey mit einer erheblichen Menge an Radium-Isotopen versetze. Und genauso wirkte es.Zum berühmtesten Konsumenten von «Radithor» wurde der Grossunternehmer und Golfer Eben Byers (1880-1932). Nachdem Byers sich 1927 eine Armverletzung zugezogen hatte, plagten ihn chronische Schmerzen. Auf Anraten seines Arztes fing er an, «Radithor» zu trinken. Er glaubte, dass es ihm helfe. Bis 1930 konsumierte er etwa 1400 Fläschchen. Dann begann er, sich bei lebendigem Leibe aufzulösen. Sein Unterkiefer fiel ab, dann auch sein Oberkiefer. Kurze Zeit darauf starb er.
Prävention zum Nutzen der Täter
Agota Lavoyer leitete bis vor wenigen Wochen die Opferhilfe Solothurn. In dieser Eigenschaft baute sie sich zu einer landesweit bekannten Marke im parastaatlichen Präventionsbusiness auf. Hunderte Male nahm sie in den letzten Jahren auf diversen Medienkanälen, Tagungen, Podien etc. Stellung zu allem, was irgendwie mit sexueller Gewalt tun hat. Ihre Dauerpräsenz stellt sie mit einer einfachen Methode sicher. Sie redet den progressiven Polit- und Journalismuskreisen, von denen sie Mandate und Lob erwarten kann, mit bemerkenswertem Talent nach dem Mund. Ob «toxische Männlichkeit», «systemischer Sexismus» oder «Vergewaltigungsmythen»: you name it, she’s going to promulgate it. Als sie Ende Dezember ihre Stelle kündigte, war das «20 Minuten» eine Story wert. Man kann es nicht anders sagen: Lavoyer ist eine PR-Virtuosin.Problematisch an der selbsternannten «Expertin für sexualisierte Gewalt» ist, dass sie kein nennenswertes Interesse an Expertise im Bereich sexuelle Gewalt hat. Mehr noch: Besteht zwischen Fachwissen und progressivem Narrativ ein Widerspruch, entscheidet sich Lavoyer immer wieder gegen die Fakten.
Wer Prävention diskreditiert, verhindert sie…
Besonders schwer wiegt, dass sie routinemässig die sogenannte Empowerment-Prävention diskreditiert. An der letzten «feministischen Sondersession» zum Beispiel sagte sie in klagendem Tonfall: «Wir lehren Mädchen, wie man noch klarer ‹Nein› sagt. Wir schicken sie in Selbstverteidigungs- und Pfefferspraykurse.» Sie meinte es als Kritik am Ist-Zustand. Als Beweis für die «subtilen Vergewaltigungsmythen», die «in unserer Gesellschaft verankert sind», und dazu führen, dass man in der Prävention nicht exklusiv auf die Täter fokussiert, also victim blaming betreibt.Empowerment – das heisst, potentielle Opfer zu härteren Zielen zu machen –, ist die einzige Präventionsform, von der erwiesen ist, dass sie die Quoten von sexueller Gewalt langfristig senkt. Der Effekt von seriösen Empowerment-Kursen ist gut belegt. Absolventinnen solcher Kurse haben mehr Selbstvertrauen, wodurch sie weniger häufig angegriffen werden. Zweitens haben sie signifikant bessere Chancen, einen sexuellen Angriff erfolgreich abzuwehren. Und drittens werden sie, wenn sie doch viktimisiert werden, deutlich seltener von Schuldgefühlen heimgesucht (siehe zum Beispiel hier, S. xxii und S. 7).Indem Lavoyer diese Art von Prävention diskreditiert, behindert sie deren Ausbau. Damit trägt sie dazu bei, dass Sexualverbrecher auf unnötig ängstliche und wehrlose Opfer treffen, die sich unnötig häufig selbst die Schuld für das erlittene Unrecht geben. Unter den «Expertinnen für sexualisierte Gewalt» ist sie die «Radithor»-Verkäuferin.
Erstveröffentlichung im Nebelspalter, Ausgabe 20. Januar 2022