Das Bleibende und das Vergängliche

Ohne Freiheit und Neutralität keine Schweiz. Zu diesem Schluss kommt der Historiker Jürg Stüssi-Lauterburg und erklärt, was die Schweiz so einzigartig macht.

Kolumne Recht direkt von Dr. Jürg Stüssi-Lauterburg

Pauline von Sinner, geborene Effinger, machte sich keine Illusionen. Die Schlossherrin des aargauischen Wildenstein sah das Ende ihres Geschlechts kommen. Sie verdichtete ihr Lebensgefühl zu wenigen Zeilen: «Die alten Geschlechter sie schwinden, es schwindet die alte Zeit. Das Bleibende lässt sich nur finden, bei Gott in der Ewigkeit.» Und doch sehen wir um uns herum noch so viel Erfreuliches in unserer Heimat, dass wir von Zeit zu Zeit über dieses Vergängliche, aber uns Liebe und Wertvolle, über seine Sicherung für die Zukunft nachdenken dürfen.

Die Arten der Freiheit
Alle, die in diesem Lande in Freiheit leben, können das so lange, wie sie geistige und körperliche Sicherheit haben. Sicherheit, um eigenverantwortlich handeln zu können, Grundrechte, die ihnen Glaubens-, Familien-, Meinungs-, Medien-, Wirtschaftsfreiheit, die politischen Mitwirkungsrechte und eine schlagkräftige Armee nicht so sehr zusagen – das tun fast alle Verfassungen der Welt – sondern in Tat und Wahrheit durch eine real funktionierende Rechtsordnung und durch die materielle Umsetzung jeden Tag gewährleisten. Das wird auch in Zukunft der Fall sein, wenn eine genügend grosse Zahl an Bürgerinnen und Bürgern sich der öffentlichen Aufgaben annehmen ohne nach Reichtum und Macht zu schielen.

Die Macht
Sie ist die grösste Gefahr für die Freiheit. Macht ist eine Droge, die alle abhängig macht, welche in ihre Nähe kommen. Deshalb die vielen Kontrollmechanismen: Sieben Bundesräte und jährlicher Wechsel im Präsidium, 26 Kantone, Referendum und Initiative, gesetzlicher und freiwilliger Wahlproporz. Und der weise Verzicht, sich in die Händel der Welt einzumischen. Die Eidgenossenschaft ist seit dem Dreissigjährigen Krieg ein neutrales Staatswesen, das nicht an fremden Kriegen teilnimmt, auch dann nicht, wenn ein Krieg sehr gerecht scheint. Neutralität ist ein notwendiges Opfer, um den Bestand des Landes auf Dauer zu sichern.

Die Schweiz
Schule, Universitäten, Bibliotheken, Archive, Museen gehören dazu wie die sozialen Errungenschaften, etwa die AHV oder die IV, oder wie Verkehrsnetz, Energieversorgung, Güterversorgung, Industrie, Gewerbe, Handel, aber auch die Dienstleister wie Versicherungen, Krankenkassen, Banken. Sie alle existieren in ihrer heutigen Form, weil alle anderen Institutionen auch existieren. Das Land ist sowohl freiheitlich als auch ein Gemeinwerk, es gelten beide Reihenfolgen des Wahlspruchs der Schützen, der zum Wahrspruch des Landes geworden ist: «Einer für Alle, Alle für Einen.» «Alle für Einen, Einer für Alle.»

Dr. Jürg Stüssi-Lauterburg (Bild Hans-Peter Widmer, Hausen AG)

Dr. Jürg Stüssi-Lauterburg (1954) hat an der Universität Zürich unter anderem Militärgeschichte studiert. Er war mehr als 30 Jahre Chef der Eidgenössischen Militärbibliothek in Bern sowie Stabsmitarbeiter mehrerer Bundesräte. Der Historiker arbeitete unter anderem am Jubiläumsbuch des SSV «Einer für Alle, Alle für Einen» mit. Er ist mit der Historikerin Barbara Stüssi-Lauterburg verheiratet. Das Paar hat zwei erwachsene Söhne.