Warum bürgerliche Politiker von «gewaltbetroffenen Tätern» reden

Den Bürgerlichen fehlt es nicht nur an eigenen Ideen, um die steigende Gewalt zu bekämpfen. Sie haben nicht einmal einen eigenen Diskurs über Sicherheit. Lange geht das nicht mehr gut. 

Von Lukas Joos

Ende November gab Bundesrätin Karin Keller-Sutter ein längeres Interview zum Thema häusliche Gewalt. In ihren Antworten bezeichnete sie Gewalt als «Problem der Gesellschaft». Zur Überrepräsentation von Ausländern in den entsprechenden Täterstatistiken sagte sie: «Ausländerinnen und Ausländer sind von häuslicher Gewalt besonders betroffen, sei es als Opfer oder Täter.» Über die Tücken eines korrekten Strafprozesses gegen Gewalttäter bemerkte sie: «Den Ausgleich zwischen Opfer- und Täterschutz zu finden, ist schwierig.» 

Sind sowohl der prügelnde Mann wie auch die verprügelte Frau «betroffen» vom «Gesellschaftsproblem» häusliche Gewalt, widerfährt ihnen ein gemeinsames Unglück. Beide werden Opfer einer äusseren Kraft, für die sie nichts können – so wie ein Paar, dessen Haus von einem Erdrutsch zerstört wird. Und gilt es, Opfer- und Täterschutz «auszugleichen», besteht zwischen Vergewaltiger und Vergewaltigten zwar ein Interessenskonflikt, aber kein moralisches Gefälle. 

Karin Keller-Sutter ist im Freisinn grossgeworden – und nicht bei der POCH. Sie ist zweifelsohne überzeugt, dass Gewalttäter persönlich verantwortlich sind für ihre Taten und persönliche Schuld an ihnen tragen. Ebenso sicher ist sie keine Zynikerin, die das Leid von Gewaltopfern missbraucht, um Gesellschaftspolitik zu betreiben. Redet sie so über häusliche Gewalt, wie Daniele Ganser den Westen für islamistische Terroranschläge verantwortlich macht und Tamara Funiciello für «System Change» agitiert, tut sie das bestimmt nicht bewusst.

Wider das agendawissenschaftliche Kauderwelsch

Aber warum tut sie es unbewusst? Wahrscheinlich einfach, weil in der Schweiz gar keine bürgerliche Sprache existiert, um über Gewalt, ihre Ursachen und ihre Bekämpfung zu reden. Der Beitrag der SVP zu einer entsprechenden Debatte erschöpft sich im Wesentlichen darin, geharnischte Social-Media-Posts zu veröffentlichen, wenn ein Ausländer ein Gewaltdelikt verübt. Von der FDP ist in Bezug auf innere Sicherheit schon länger nichts Substantielles mehr zu hören. Und der «Mitte» ist Sicherheit – weder innere noch äussere – nicht einmal ein Raster auf ihrem Webauftritt wert. 

Gibt es nur eine Sprache, ist sie automatisch die lingua franca. Den Bürgerlichen fehlt es nicht bloss an eigenen Ideen, wie man der zunehmenden Gewalt Herr werden könnte. Sie haben noch nicht einmal das kommunikative Gerüst, um solche Ideen zu transportieren. Lancieren sie nicht bald einen klaren, faktentreuen und engagierten Sicherheitsdiskurs, mit dem sie das agendawissenschaftliche Kauderwelsch über «systemischen Sexismus», «patriarchale Strukturen» und «gewaltausübende Personen» in den Dunstkreis linksextremer Mini-Parteien zurückverbannen, werden sie sicherheitspolitisch je länger, je weniger zu sagen haben. Denn ein israelischer General, der von «zionistischen Besatzerbanden» redet, wenn er über seine Truppen spricht, mag jede Schlacht gewinnen – den Krieg verliert er.

Erstveröffentlichung im Nebelspalter, Ausgabe 9. Dezember 2021