Sexualstraftaten sind keine Kavaliersdelikte!

Am 18. Februar 2022 präsentierte die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (RK-S) ihren Entwurf für ein «modernes Sexualstrafrecht». Dieser Entwurf kommt in der Sommersession ins Parlament. Das Problem: Wird dieser Entwurf nicht erheblich verändert, dann wird das neue Sexualstrafrecht nicht modern, sondern ungerecht und unwirksam. Das Parlament muss verschiedene Strafrahmen erhöhen und einen Murks bei der Ausgestaltung der Straftatbestände rückgängig machen.

Der Entwurf der RK-S geht in verschiedener Hinsicht in die richtige Richtung. Insbesondere der wichtige Schritt zur Konsensbasiertheit und die Ausdehnung des Vergewaltigungsbegriffs sind zu begrüssen. Aber: Zum einen will der Entwurf etliche Sexualverbrechen so bestrafen, als seien sie Kavaliersdelikte. Und zum anderen würde er wegen einer unüberlegten Systematik dazu führen, dass in Zukunft noch weniger Opfer Anzeige erstatteten. Das darf nicht sein.

Deshalb fordern wir: Erstens sind verschiedene Mindeststrafen zu erhöhen. Und zweitens ist ein gesonderter Straftatbestand für die neuen Strafbestimmungen zu schaffen. Damit soll nicht nur mehr Gerechtigkeit erreicht, sondern den Opfern auch gezeigt werden: Wird ein Täter verurteilt, erfährt er wesentliches Gegenleid. Die Last, die ihr mit einer Anzeige auf euch nehmt, lohnt sich.

Sexualstraftaten sind keine Kavaliersdelikte

Bedingte Freiheitsstrafen sind Strafen, die der Täter nicht antreten muss, wenn er sich während einer gewissen Probezeit bewährt. Mit solchen Strafen sollen gemäss RK-S praktisch alle Sexualstraftäter davonkommen können – sogar solche, die ein Opfer mit Gewalt zu Oral-, Vaginal- oder Analsex nötigen!

Ausserdem will die Kommission, dass Geldstrafen unter anderem für Sexualstraftäter möglich sind, die 

  • die Schockstarre (sogenanntes «Freezing») eines Opfers ausnutzen, um es gegen dessen Willen oral, vaginal oder anal zu penetrieren
  • ein Opfer mit Gewalt zu sexuellen Handlungen zwingen, die nicht mit dem Eindringen in den Körper verbunden sind
  • ein Opfer, das urteils- oder widerstandsunfähig ist, für sexuelle Handlungen missbrauchen. 

Solche Bagatellstrafen sind aus verschiedenen Gründen inakzeptabel. Vor allem sind sie ungerecht, weil sie das Recht des Opfers auf eine angemessene Bestrafung des Täters verletzen. In der Forschung weiss man längst, wie ausserordentlich schwerwiegend gerade die psychischen Folgen von sexuellen Übergriffen sind. Es darf nicht sein, dass Täter sich selbst von gravierenden Delikten gegen die sexuelle Integrität «freikaufen» können!  

Mehr Anzeigen, nicht weniger

Um das neue Strafrecht konsensbasiert zu machen, sieht der Entwurf der RK-S neue Straftatbestimmungen vor. Diese sollen greifen, wenn der Täter vorsätzlich gegen den Willen des Opfers handelt, dabei aber kein Nötigungsmittel benutzt. Diese an sich begrüssenswerten neuen Bestimmungen hat die RK-S aus schwer verständlichen Gründen in die bestehenden Artikel 189 (sexuelle Nötigung) und Artikel 190 (Vergewaltigung) eingegliedert. Dies, nachdem sie im Vorentwurf noch einen gesonderten Tatbestand vorsah. Das ist ein Rückschritt. Er hätte unter anderem zur Folge, dass die Anzahl wegen sexueller Nötigung oder Vergewaltigung Verurteilter zunehmen, die verhängten Strafen aber noch milder würden.

Regelmässig käme es zu «Vergewaltigern», die zu bedingten Freiheitsstrafen oder gar zu Geldstrafen verurteilt würden. Wie sich die entsprechende Medienberichterstattung auf die sowieso schon tiefe Anzeigequote auswirken würde, liegt auf der Hand: Noch mehr Opfer würden entmutigt, die Täter anzuzeigen. Zudem würde in gewissen Kreisen der Eindruck entstehen, selbst eine Vergewaltigung gehöre nicht wirklich zu den «schlimmen» Delikten. Eine solche Entwicklung darf nicht zugelassen werden!