Polizei am Limit – und niemand hört hin

Die Sicherheit des Bürgers darf nie zum bezahlten Gut von einzelnen Menschen werden, die sich diese leisten können. Die Polizei ist dringend auf Nachwuchs angewiesen, weil die Korpsbestände schweizweit gefährlich abnehmen.

Kolumne Recht direkt von Markus Melzl


Wenn die Verantwortlichen des Verbands Schweizerischer Polizeibeamter vor «bewaffneten Bürgerwehren» warnen, ist das kein Alarmismus. Es ist ein Weckruf. Einer, der nicht lauter formuliert werden kann und trotzdem kaum gehört wird. Die Polizei in der Schweiz steht unter massivem Druck. Und zwar nicht punktuell, sondern systematisch. In allen Landesteilen fehlen Polizistinnen und Polizisten, wobei in den Städten die Lage besonders angespannt ist. Extradienste, Demos, Cyberkriminalität, Gewalt an Fussballspielen, nächtlicher Lärm, 24-Stunden-Gesellschaft, Respektlosigkeit und Überstunden – wer will unter solchen Bedingungen noch Polizistin oder Polizist werden?

Wenn Sicherheit zur Ware wird
Währenddessen lagert der Staat immer mehr hoheitliche Aufgaben an private Sicherheitsdienste aus. Diese beschäftigen heute rund 30’000 Mitarbeitende und somit deutlich mehr als sämtliche Polizeikorps der Schweiz zusammen. Doch Sicherheit ist keine Dienstleistung wie jede andere. Wenn sich nur noch jene den Schutz leisten können, welche finanziell dazu in der Lage sind, dann kippt etwas in unserem Rechtsstaat. Zunehmend entsteht eine Zweiklassengesellschaft in der öffentlichen Sicherheit. Während sich Vermögende mit privaten Sicherheitsfirmen rund um die Uhr absichern, muss der Normalbürger darauf hoffen, dass für weniger dringliche Anliegen wie Bagatellunfälle oder Nachtruhestörungen, überhaupt noch genügend Polizeipersonal verfügbar ist. Ist das nicht der Fall, heisst es warten oder verzichten.

Vertrauensverlust und rechtliche Hürden
Hinzu kommt, dass die Strafprozessordnung überfrachtet und nicht auf eine effiziente Kriminalitätsbekämpfung ausgerichtet ist. Ermittler werden dadurch ausgebremst, während Täter gleichzeitig davon profitieren. Zudem stehen Polizistinnen und Polizisten bei jedem Einsatz unter Generalverdacht und müssen damit rechnen, bei ihrem Einschreiten mit strafrechtlichen Sanktionen konfrontiert zu werden. Das Misstrauen gegenüber der Polizei wurde in den vergangenen Jahren salonfähig.
Zum Glück gibt es trotz dieser Rahmenbedingungen junge Menschen, die sich für den Polizeiberuf entscheiden und sie verdienen unseren grössten Respekt. Doch wie lange noch, bis auch sie sagen werden: nicht mit mir! Wenn selbst erfahrene Polizeifunktionäre den Ernst der Lage benennen und von Kontrollverlust sprechen, dann – sollte nichts dagegen geschehen – wäre dies ein politisches und gesellschaftliches Versagen. Es wird Zeit, hinzuhören. Und endlich zu handeln, bevor aus dem leisen Notstand ein lauter wird, den niemand mehr kontrollieren kann.

Markus Melzl (73), Kriminalkommissar a.D. und ehemaliger Sprecher der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt. 1973 Polizeischule bei der Kantonspolizei Basel-Stadt.
Ab 1980 im Kriminaldienst tätig bei Kriminalpolizei, Rauschgiftdezernat, Wirtschaftskriminalität und zuletzt bis zur Pensionierung im Stab der Staatsanwaltschaft.