Korrektur-Initiative: Keine Waffen zu exportieren kann auch amoralisch sein

Das Parlament hat einer Verschärfung der Exportkriterien für Rüstungsgüter zugestimmt. Möglich machten das Parlamentarier, die sich gemäss eigenen Angaben von moralischen Faktoren leiten liessen. Nur: Vom moralischen Standpunkt aus gesehen ist die Verschärfung viel eher Rück- als Fortschritt.

Von Lukas Joos

Letzte Woche befand der Nationalrat als Zweitrat über den indirekten Gegenvorschlag zur Korrektur-Initiative. Wie schon die Kleine Kammer entschied er, den vom Bundesrat vorgeschlagenen Artikel 22b des Kriegsmaterialgesetzes zu streichen. Betroffen von dieser Streichung sind vor allem Rüstungsexporte in westlich-demokratische Staaten.

Schon heute verboten ist der Export von Rüstungsgütern in demokratische Rechtsstaaten, die in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind. Allerdings interpretierte der Bundesrat dieses Verbot bisher dahingehend, dass es nur für Staaten gilt, die innerhalb ihres Territoriums Konfliktpartei sind. Das heisst: An demokratische Rechtstaaten, die auf fremdem Boden militärisch agieren, durfte geliefert werden.

Moralische Vorbehalten gegen Exporte in demokratische Rechtsstaaten

Artikel 22b hätte es dem Bundesrat erlaubt, das Exportverbot an Konfliktparteien zumindest in bestimmten Fällen weiterhin so auszulegen wie bisher. Dies hat das Parlament nun verhindert. Einzig, wenn der Empfänger der Rüstungsgüter ein UN-Mandat für den Einsatz auf fremdem Boden hat, sollen Ausnahmen möglich sein.

Das Zünglein an der Waage waren einige «Abweichler» aus der FDP und der Mitte, die moralische Vorbehalte geltend machten. So erklärte die Zürcher FDP-Nationalrätin Doris Fiala ihre Enthaltung gegenüber 20 Minuten wie folgt: Sie sei zwar wirtschafts- und industrienah, doch bei diesem Thema seien ethische und moralische Interessen «angemessen hoch» zu gewichten. Mit anderen Worten: Die Streichung von Artikel 22b könne zwar – bedauerlicherweise – Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie kosten, aber ein «Weiter wie bisher» sei mit einem einigermassen reinen Gewissen nicht zu vereinbaren.

Das klingt zuerst einmal gut – und dann überrascht es. Die Streichung von Artikel 22b erschwert nämlich nicht nur die Unterstützung von gerechten Kriegen, sondern auch die Selbstverteidigung von Ländern wie der Schweiz.

Weniger Unterstützung für gerechte Kriege

Der blutigste Krieg der amerikanischen Geschichte wurde geführt, um die Sklaverei abzuschaffen. Die Nordstaaten-Allianz der Sklavereigegner gewann – auch dank waffentechnischer Überlegenheit. Standardmässig waren die Soldaten beider Armeen mit Vorderladern bewaffnet. Die Nordstaaten konnten jedoch Teile ihrer Truppen mit Magazinwaffen ausrüsten. Diese Wunder der damaligen Technik liessen sich erstens in Deckung nachladen und boten zweitens x-mal mehr Feuerkraft als Vorderlader. Besonders beeindruckt – und beelendet – waren die Konföderierten vom Henry Rifle mit seinem 15-Schuss-Magazin. Sie schimpften es «Das verfluchte Yankee-Gewehr, das man am Sonntag lädt und die ganze Woche lang schiesst.»

Weil die Nordstaaten Bürgerkriegspartei waren, hätte ihnen die Schweiz schon unter geltendem Gesetz keine Henry Rifles liefern dürfen. Durch die Streichung von Artikel 22b wäre die Lieferung nun auch verboten gewesen, wenn die Südstaaten nicht Teil der USA gewesen wären, das heisst, wenn die Nordstaaten die Befreiung der Sklaven auf fremdem Territorium erzwungen hätten. (Ein UN-Mandat hätten die Nordstaaten für ihre Mission kaum erhalten: Eine Form der Sklaverei oder Leibeigenschaft war damals rund um den Globus mehr die Regel als die Ausnahme.)

Weniger Unterstützung für Länder wie die Schweiz

Dass demokratische Rechtsstaaten keine demokratischen Rechtsstaaten angreifen, ist eine Binsenwahrheit. Das heisst: Die Streichung von Artikel 22b betrifft vor allem Länder, die, wenn sie Krieg führen, ein Unrechtsregime bekämpfen. Je kleiner der demokratische Rechtsstaat ist und je grösser das ihm feindlich gesinnte Unrechtsregime, desto unabdinglicher wird es für den Rechtsstaat, auf fremdem Territorium operieren zu können. Das offensichtlichste Beispiel in dieser Hinsicht ist Israel – ein Beispiel, das im Übrigen auch Doris Fiala, einer ausgewiesenen Freundin des Judenstaates, in den Sinn hätte kommen können. Israel grenzt bekanntermassen an failed states wie Libanon: Deren Territorium dient Terrororganisationen wie der iran-alimentierten Hisbollah als militärische Basis für ihren Krieg gegen die einzige Demokratie im Nahen Osten. Kann Israel keine entsprechenden Präventivschläge durchführen, gibt es nichts, was Hisbollah & Co. daran hindert, ihre Terrortruppen an der israelischen Grenze zu massieren.

Mit der beschlossenen Verschärfung kann die Schweiz nun nicht nur keine Rüstungsgüter für solche Präventivschläge mehr an Israel liefern, sondern auch keine Luftabwehrgeschütze zur Verteidigung seiner Wohnbevölkerung mehr. Schliesslich heiratet eher der Papst, als Israel ein entsprechendes UN-Mandat bekommt.

Moralismus und Moral

Natürlich: Es gibt sehr wohl amoralische Kriegsmaterialexporte. Jede Moral, die ihren Namen verdient, verbietet Waffenlieferungen an Akteure wie die antebellum-Südstaaten oder die Hisbollah. Aber genau, weil sie das tut, sollte sie eben auch erlauben – wenn nicht sogar gebieten –, unbürokratisch Wehrtechnik an jene Kräfte zu liefern, die gegen Sklavenhalter oder genozidale Judenhasser vorgehen oder sich vor ihnen schützen müssen.

Moralistische Vorbehalte – etwa gegen Krieg oder gegen Waffen – mögen Grund sein, Artikel 22b zu streichen. Moralische Vorbehalte – also solche, die dem Bestreben entspringen, möglichst viel grundlos zugefügtes menschliches Leid zu verhindern – hingegen eher nicht.

Erstveröffentlichung im Nebelspalter, Ausgabe 23. September 2021